Erste Befunde des ZiviZ-Survey 2023

Zivilgesellschaft in Krisenzeiten:
Politisch aktiv mit geschwächten Fundamenten

Mit dem ZiviZ-Survey erfasst ZiviZ im Stifterverband seit 2012 in regelmäßigen Abständen und repräsentativ Strukturmerkmale und Entwicklungen in der organisierten Zivilgesellschaft. Die in diesem Bericht dargestellten Befunde geben erste Einblicke in Trends und Veränderungen in der Zivilgesellschaft über die vergangenen zehn Jahre. Sie geben auch darüber Aufschluss, inwiefern die Krisen der vergangenen Jahre, insbesondere die Corona-Pandemie, langfristige Entwicklungen im Engagement beeinflusst haben.

Im März 2023 wurde auf Grundlage der neuen ZiviZ-Survey-Daten ein erster Bericht veröffentlicht. Im Laufe des Jahres erscheinen zudem Berichte zur Lage der organisierten Zivilgesellschaft in den acht Bundesländern, die den ZiviZ-Survey gefördert haben. Im Herbst 2023 erscheint dann der Hauptbericht. Auch ein interaktives Datenportal wird aktuell entwickelt.

 
Die zentralen Ergebnisse im Überblick:

  • Ansprüche der gesellschaftlichen und politischen Mitgestaltung steigen
    Zivilgesellschaftliche Organisationen verstehen sich immer häufiger als Impulsgeber für sozialen Wandel, als Sozialunternehmen oder auch als Akteure der politischen Willensbildung. Sie möchten mit ihren Aktivitäten und Angeboten nach außen wirken und Gesellschaft sowie Politik mitgestalten. Hingegen schwächt sich das Rollenverständnis als Mitgliederorganisation ab. Das heißt, Vereinigungen sind seltener nach innen orientiert und fühlen sich seltener vordergründig den Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet. Die Ansprüche an gesellschaftliche Mitgestaltung zeigen sich auch darin, dass die Organisationen im Zehnjahresvergleich immer häufiger in den Bereichen Bildung (plus 3,9 Prozentpunkte) und Umwelt (plus 1,3 Prozentpunkte) aktiv sind. In Teilen der Zivilgesellschaft herrscht Verunsicherung darüber, inwiefern politische Mitgestaltung den Gemeinnützigkeitsstatus gefährden könnte. Fünf Prozent der Organisationen geben an, sich aus Sorge um ihren Gemeinnützigkeitsstatus nicht intensiver politisch zu engagieren. Überdurchschnittlich ausgeprägt ist diese Sorge insbesondere in den Engagementfeldern Umwelt (elf Prozent) und internationale Solidarität (zehn Prozent).
     
  • Mehr Organisationen berichten von rückläufigen Zahlen im freiwilligen Engagement
    Die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten während der Corona-Pandemie stellten Organisationen vor besondere Herausforderungen in der Gewinnung und Bindung von Mitgliedern und freiwillig Engagierten. Mehrheitlich waren die Zahlen an Mitgliedschaften und freiwillig Engagierten in den vergangenen fünf Jahren stabil. Dennoch berichten 21 Prozent der Organisationen in der aktuellen Erhebungswelle von rückläufigen Engagiertenzahlen. Das sind mehr als in 2012 (15 Prozent) und 2016 (17 Prozent). Auch wenn sich dadurch noch kein flächendeckender Rückgang im Engagement belegen lässt, zeigt sich, dass einzelne Segmente der Zivilgesellschaft durchaus vor großen Herausforderungen in der Bindung und Rückgewinnung von Engagierten stehen. Während Sportorganisationen am häufigsten von sinkenden Engagiertenzahlen (27 Prozent) betroffen sind, berichten Umwelt- und Naturschutzorganisationen am häufigsten von steigenden Zahlen im Engagement (32 Prozent).
     
  • Herausforderungen im Bereich der Innenfinanzierung nehmen zu
    Zivilgesellschaftliche Organisationen finanzieren sich weiterhin in erster Linie eigenständig durch Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und aus selbsterwirtschafteten Mitteln. Externe Finanzierungsformen (Spenden oder Fördermittel) machen in der Gesamtschau einen geringeren Anteil am Finanzierungsmix aus. Allerdings berichten weniger Organisationen als in der vergangenen von steigenden Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und selbsterwirtschafteten Mitteln. 16 Prozent der Organisationen haben im Jahr 2021 zudem Corona-Hilfen vom Staat erhalten. Ein Viertel der Organisationen bewertet die aktuelle Finanzlage nur mit der Note ausreichend oder mangelhaft.
     
  • Zivilgesellschaft ist in akuten Krisen handlungsfähig
    Wie schon in früheren Krisensituationen zeigten zivilgesellschaftliche Organisationen im vergangenen Jahr eine ausgeprägte Hilfsbereitschaft, Betroffenen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zu helfen. 35 Prozent der Organisationen haben sich in 2022 für Betroffene des Ukraine-Kriegs engagiert. Unter den engagierten Organisationen sammelten 61 Prozent Geld- und/oder Sachspenden. Weitere Formen des Engagements umfassen Integrationsangebote oder auch die Bereitstellung von Unterkünften. 24 Prozent der Organisationen haben im Rahmen ihres Ukraine-Engagements mit staatlichen Stellen zusammengearbeitet. Auch die Bewältigung der Klimakrise wird zunehmend als Querschnittsaufgabe in der Zivilgesellschaft erkannt. Jede vierte Organisation hat in den vergangenen Jahren angefangen, sich aktiv mit dem Thema zu befassen oder plant dies für die kommenden Jahre
     

AKTUELLE ANALYSE: GEFÄHRDET POLITISCHE ARBEIT DEN STATUS DER GEMEINNÜTZIGKEIT?

In der politischen Diskussion um eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, wie sie im Koalitionsvertrag der Bundesregierung angekündigt wurde, wird unter anderem darüber verhandelt, inwiefern es neue rechtliche Rahmenbedingungen braucht, die Organisationen in ihrer politischen Betätigung absichern. Vor dem Hintergrund dieser Diskussion bewertet das im August 2023 veröffentlichte Policy Paper die Daten- sowie Rechtslage und leitet Handlungsempfehlungen für Politik, Engagementförderung, Finanzbehörden, Verbände und Organisationen ab.
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​Weitere Ergebnisse im Überblick:

  • Im Jahr 2022 gab es in Deutschland 656.888 zivilgesellschaftliche Organisationen. Das sind rund 18.000 Organisationen mehr als zum Zeitpunkt der letzten umfassenden Bestandsaufnahme von ZiviZ im Jahr 2016. Allerdings werden von Jahr zu Jahr weniger neue Vereine gegründet. Zeitgleich zeigt sich eine starke Gründungsdynamik von gemeinnützigen Kapitalgesellschaften, deren Zahl zwischen 2016 und 2022 um 27 Prozent wuchs.
     
  • Vereine werden immer häufiger als Fördervereine gegründet. Gaben in 2016 noch 22 Prozent der Vereine an, Fördervereine zu sein, waren es in 2022 bereits 25 Prozent. Fördervereine werden nicht nur im Bildungsbereich (zum Beispiel als Schulfördervereine) gegründet, sondern inzwischen auch häufig in anderen Engagementfeldern (zum Beispiel in den Bereichen Bevölkerungs- und Katastrophenschutz, Gesundheit und Wissenschaft).
     
  • Das Beschäftigungswachstum im gemeinnützigen Sektor beschränkt sich auf große Organisationen. Während der Anteil zivilgesellschaftlicher Organisationen mit bezahlten Beschäftigten zwischen 2012 und 2016 noch deutlich von 21 auf 28 Prozent stieg, verbleib der Wert in 2022 mit 27 Prozent auf ähnlichem Niveau wie 2016. Gleichzeitig berichten gerade Organisationen mit überdurchschnittlich vielen bezahlten Beschäftigten von weiteren Zuwächsen.
     
  • Die Finanzierungserwartung an den Staat nimmt zu. Zwar sind noch immer 54 Prozent der Organisationen der Ansicht, dass sie ihre Aktivitäten selbst durchführen und finanzieren sollten, dennoch zeigt sich: Während im Jahr 2016 noch 31 Prozent der Organisationen angaben, dass ihre Arbeit vermehrt vom Staat finanziell unterstützt werden sollte, stieg der Wert in 2022 auf 40 Prozent an.

Der ZiviZ-Survey ist eine repräsentative Befragung zivilgesellschaftlicher Organisationen in Deutschland. Der Survey erfasst zentrale Strukturmerkmale der Organisationen sowie neue Handlungsfelder, Herausforderungen und Bedarfe. Nach den ersten beiden Befragungsrunden (ZiviZ-Survey 2012 und ZiviZ-Survey 2017) ermöglicht der ZiviZ-Survey 2023 erstmals Trendaussagen über einen Zeitraum von zehn Jahren. Die Ergebnisse liefern der Zivilgesellschaft, der Politik sowie der Zivilgesellschafts- und Engagementforschung wichtiges Orientierungswissen.

Berücksichtigt werden im ZiviZ-Survey vier Organisationsformen, in denen Engagement vordergründig stattfindet: eingetragene Vereine, gemeinnützige Kapitalgesellschaften, gemeinwohlorientierte Genossenschaften und rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts. Aus der Grundgesamtheit dieser Organisationen werden Organisationen zufällig ausgewählt und zur Teilnahme an einer Online-Befragung eingeladen. Am ZiviZ-Survey 2023 nahmen insgesamt 12.792 Organisationen teil.

 

Bibliografische Angaben

Peter Schubert, Birthe Tahmaz, Holger Krimmer:
Erste Befunde des ZiviZ-Survey 2023 – Zivilgesellschaft in Krisenzeiten:
Politisch aktiv mit geschwächten Fundamenten

Berlin: ZiviZ im Stifterverband 2023
31 Seiten

Kontakt

Dr. Birthe Tahmaz

Programmleiterin und
Mitglied der Geschäftsführung

T 030 322982-519

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Dr. Peter Schubert

Senior Projektmanager

T 030 322982-576

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