Blended Impact?

Impulse zur Verknüpfung von digitalen und traditionellen Akteuren in der Kommune

Die vermehrte Zuwanderung führte im Sommer 2015 zu einem Aufmerksamkeit erregenden Anstieg zivilgesellschaftlichen Engagements in Deutschland. Neben bekannten Formen kam es auch zu einem Anstieg von digitalem Engagement in unterschiedlichen Bereichen. Nach einer Hochphase der digitalen Geflüchtetenhilfe folgte ein quantitativer Rückgang von Projekten. Wie viele Projekte eingestellt wurden, lässt sich nicht exakt bestimmen. Die weiterhin aktiven Projekte fingen an, sich zu konsolidieren, Kooperationen einzugehen und ihre ursprünglichen Ideen an die aktuelle Bedarfslage anzupassen. Es wurde deutlich, dass in digitalen Ansätzen ein erhebliches Potenzial für eine Weiterentwicklung des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland steckt. So versprechen digitale Ansätze, Zielgruppen zu erschließen, die zuvor – beispielsweise aufgrund von Sprachbarrieren – nicht oder nur schwer zu erreichen waren. Zudem ermöglichen sie einen vereinfachten Austausch zwischen unterschiedlichen Akteuren und ermächtigen auch Geflüchtete sowie Migrantinnen und Migranten, selbst aktiv zu werden.

Dem optimistischen Diskurs zu den vielfältigen Chancen der Digitalisierung für das zivilgesellschaftliche Engagement standen – und stehen auch heute noch – eine Vielzahl an Unsicherheiten und Fragen gegenüber. Gleichwohl herrscht Einigkeit im Feld, dass Digitalisierung nicht alleine eine Frage von Technik ist, sondern die Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit von Organisationen viel allgemeiner betrifft. Jedoch ist die Annahme, dass die Nutzung digitaler Maßnahmen Offline-Kommunikation und direkte soziale Interaktion überflüssig mache, noch immer weit verbreitet – und das sowohl bei Digitalisierungsskeptikern als auch -befürwortern. Diese Idee führt auf der einen Seite dazu, dass sich digitale Organisationen häufig zu wenig Gedanken machen über die Einbettung ihrer Ansätze in analogen Kontexten. Aus Vorbehalten gegenüber solch unterstellten Verdrängungseffekten kommt es auf der anderen Seite bei Vertreterinnen und Vertretern etablierter Strukturen nicht selten zu einer generellen Ablehnung. Insgesamt also schlechte Vorzeichen für ein synergetisches Zusammenwirken von digitalen und analogen, neuen und alten zivilgesellschaftlichen Akteursgruppen.

Magdalena Bork und Ben Mason:
Blended Impact?
Impulse zur Verknüpfung von digitalen
und traditionellen Akteuren in der Kommune
Herausgegeben von ZiviZ und betterplace lab
46 Seiten
Erscheinen im März 2020

Um die Frage des Zusammenwirkens digital-analoger Schnittstellen soll es daher in dieser Studie gehen. Wo und wie gelingt dieses Zusammenwirken auf kommunaler Ebene? Wo und warum misslingt es? Und wie können Kontexte und Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden, damit Kooperationspotenziale und Synergien besser genutzt werden? Diese Fragen standen am Beginn des Projektes "Blended Impact", das seit Dezember 2017 vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gefördert wurde.

Der Diskurs zum digitalen Wandel und Zivilgesellschaft fand in den letzten zwei Jahren unter diversen Schwerpunktsetzungen statt. Vordergründig ging es dabei um die Nutzung digitaler Tools insbesondere im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und für das Erledigen administrativer Aufgaben, gelegentlich um strukturelle und prozessuale Veränderungen und Organisationsentwicklung und seltener um Auswirkungen der Digitalisierung auf Angebote, Zielgruppen sowie Engagement. Nachdem in der Diskussion um den digitalen Wandel Themen aus der Organisationsperspektive dominierten, wurde für das Projekt "Blended Impact" der Fokus auf die lokalen Handlungskontexte, also das Feld im weiteren Sinne, gerichtet.

Zivilgesellschaften sind immer zunächst lokale Zivilgesellschaften. Mehr als zwei Drittel aller gemeinnützigen Organisationen in Deutschland benennen die lokale Ebene als ihren primären Wirkungsbereich. Prädestiniert für eine Feldperspektive war der Bereich Integration, da viele digitale Projekte im Kontext der Zuwanderung von Geflüchteten entstanden sind. Ziel war es, die unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure auf lokaler Ebene nicht isoliert, sondern mit einem besonderen Blick auf ihre Beziehungen zu betrachten. Die Studie nimmt diese Perspektive mit Fokus auf das bürgerschaftliche Engagement in der Hilfe für Geflüchtete ein.

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden im Sommer 2018 zwei kommunale Fallstudien durchgeführt. Der Fokus lag auf zwei deutschen Kommunen, die unter Berücksichtigung ihrer geographischen Lage sowie ihrer Engagementdichte ausgewählt wurden: Dresden und Gießen. Bewusst ausgeklammert wurden Metropolen wie München oder Berlin. Sie sind besondere Umwelten aufgrund einer vergleichsweise starken Ballung an digitalen Projekten sowie einer etablierten Tech-Start-up-Szene und Infrastrukturen von Coworking-Spaces, Veranstaltungen und sozialen Netzwerken. Im Projekt sollten Akteurslandschaften außerhalb dieser besonderen Ballungsräume und ohne diese spezifischen Rahmenbedingungen im Mittelpunkt stehen. Insgesamt wurden 31 qualitative Interviews sowie vertiefende Hintergrundgespräche geführt und ausgewertet. Weiterhin fand ein Workshop mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Verwaltung statt, um deren Perspektive als rahmengebende Akteure auf lokaler Ebene stärker in den Blick zu nehmen.

Der Titel "Blended Impact" spiegelt demzufolge das leitende Untersuchungsinteresse: Können digitale und analoge Ansätze zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation sich wechselseitig so ergänzen, dass nicht Verdrängung, sondern Ergänzung die Folge ist?
 

Die Empfehlungen aus der Studie

Gemeinsam kommunale Engagementlandschaften ausbauen

Die Überforderung der Leistungsfähigkeit von Kommunen in der Phase der vermehrten Zuwanderung geflüchteter Menschen hat neue Akteurinnen und Akteure sowie Muster der Kooperationen hervorgebracht, sowohl in der Zivilgesellschaft als auch zwischen Zivilgesellschaft und Kommunen. An diesen Lernerfahrungen sollte jetzt angesetzt werden.

  • Das Zusammenwirken von Akteurinnen und Akteuren mit unterschiedlichen Handlungslogiken und aus verschiedenen Sektoren braucht Plattformen und Räume. Für die Vernetzung zwischen und mit Zivilgesellschaft sollten Kommunen Plattformen und Netzwerke mitentwickeln, so wie sie das rechtlich reguliert in der Jugendhilfe oder unreguliert im Sport bereits tun.
  • Neben regelmäßigen Roundtables oder Meet-Ups sollten Kommunen Mut aufbringen auch neue Austauschformate wie BarCamps oder Design-Thinking-Workshops auszutesten. Hierfür verfügen neue Akteurinnen und Akteure  oftmals über Expertenwissen und können zur Erweiterung von Kompetenzen beitragen. Themen mit anderen Methoden neu zu denken vergrößern die Chancen innovative Ideen für gemeinsames Wirken zu generieren.

Mittler und Brückenbauer sind gefragt

Auf kommunaler Ebene ist eine Vielzahl von Organisationen damit beschäftigt, zu vermitteln und Brücken zu bauen. Die Bereicherung von Engagementlandschaften um digitale Akteurinnen und Akteure stellt diese vor neue Herausforderungen.

  • Freiwilligenagenturen, Mehrgenerationenhäuser, Houses of Resources und andere lokale Institutionen sollten sich gezielt mit diesen Akteurinnen und Akteuren beschäftigen und Wissen über digitales Engagement aufbauen. Nur so können Wege gefunden werden, wie diese neuen Ansätze sich in lokale Kontexte einfügen können.
  • Hubs und Working Spaces, die neben Einzelförderung und Büroressourcen auch zur Vernetzung beitragen, sollten sich aktiv gegenüber Verbänden und traditionellen Akteurinnen und Akteuren öffnen und zur Vernetzung über kulturelle Sollbruchstellen hinweg anstoßen.

Bessere Zugänge zu praktischem Wissen ermöglichen

Häufig fehlt für die konstruktive Verständigung vor Ort oder im Falle von digitalen Entrepreneurs belastbares Orientierungswissen. Öffentliche und private Fördermittelgeber, aber auch Kommunen können hier Abhilfe schaffen.

  • Digitalen Neuengagierten fehlt häufig das Wissen über Vernetzungs- und Fördermöglichkeiten. Insbesondere Informationen über Finanzierungsquellen – vor allem auf kommunaler und Landesebene – sollten breiter und transparenter verfügbar sein, um den Zugang für eine größere Bandbreite von Empfängern zu ermöglichen.
  • Vielfach scheitert Dialog schon vor seiner Aufnahme, weil für Außenstehende die richtigen Ansprechpartner bei Initiativen, Verbänden und Verwaltung nur schwer zu identifizieren sind. Klare Lösungen in der Außenkommunikation ermöglichen hingegen eine konstruktive Kontaktaufnahme.

Zuwendungsrichtlinien an Projektthemen anpassen

Die Hoffnung, dass mehr Möglichkeiten zur Infrastruktur- oder Dauerförderung zukünftig Projektförderungen ablösen, wurde in der engagementpolitischen Diskussion schon ebenso häufig formuliert wie enttäuscht. Vielfach würde aber bereits die Verbesserung der Rahmenbedingungen von Projektförderungen ausreichen.

  • Öffentliche und private Förderer sollten mehr Möglichkeiten schaffen, Projektförderungen auch auf einen längeren Zeitraum auszudehnen. Der Befund der Scheinkonsolidierung in der vorliegenden Studie zeigt, dass zwei- bis dreijährige Förderzyklen häufig nicht reichen, um für neue Ansätze auch langfristig tragende Finanzierungsmodelle zu finden.
  • Digitale Projekte, aber auch etablierte, nicht vorwiegend digital arbeitende Akteurinnen und Akteure brauchen offene Entwicklungshorizonte und widersetzen sich der Logik starrer Planbarkeit. Wo nötig sollten Zuwendungsrichtlinien weiterentwickelt werden, um Geförderten diese Offenheit auch einzuräumen. Oftmals würde es jedoch genügen, bestehende Spielräume geltender Richtlinien im Sinne der Geförderten auszuschöpfen.

Wagniskapital für Social Start-ups

Start-ups werden im kommerziellen Bereich als wesentliches Vehikel gesehen, Innovationen in Branchen hinein zu bekommen. Um für Start-ups ein förderliches Ökosystem herzustellen wird Risikokapital/Venture Capital, als zentrale Herausforderung gesehen. Davon sollte die organisierte Zivilgesellschaftsförderung lernen.

  • Auch für Social Startups sollten Zugänge zu Risikokapital eröffnet werden. Das kann auch durch eine Erweiterung der Förderrichtlinien der Wirtschaftsförderung erfolgen, die bislang häufig gemeinnützige Akteurinnen und Akteure ausschließt.
  • Um Tech Start-ups im gemeinnützigen Bereich zu fördern ist eine Erweiterung und Qualifizierung der Gründerberatung an Hochschulen zu prüfen.

Kontakt

Ben Mason

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